Sozioökonomie
Sozioökonomische Betrachtung der Prozessketten
Die Energiewende trifft in der Öffentlichkeit auf eine breite Unterstützung. Sowohl der Atomausstieg als auch das Ziel, den CO2-Ausstoß massiv zu reduzieren, werden von weiten Teilen der Bevölkerung mitgetragen. Jedoch basiert dies nicht auf einem in sich logisch geschlossenem System: Gerade mit Blick auf die Akzeptanz konkreter Projekte tritt eine „not in my backyard“-Mentalität (NIMBY) hervor. Dies verzögert und verteuert die Umsetzung der Energiewende. NIMBY beschreibt eine Einstellungskonstellation, bei der eine Technologie oder ein Projekt nicht grundsätzlich abgelehnt, eine direkte räumliche Betroffenheit jedoch nicht akzeptiert wird. Bei Projekten aus dem Kontext der Energieversorgung ist dieses Phänomen besonders häufig zu beobachten. Eine Unterstützung der Energiewende oder die Forderung des Ausbaus von erneuerbaren Energiequellen ist oft mit einer Ablehnung von damit verbundenen Infrastrukturmaßnahmen im eigenen Lebensumfeld verknüpft. Generell nimmt der Widerstand gegen Technologieprojekte zu, je näher diese an die Betroffenen heranrücken. Das Vertrauen in den Projektträger spielt vor allem dann eine große Rolle, wenn der Informationsstand gering ist. Beschäftigen sich die Betroffenen intensiver mit der Thematik, so reduziert sich der Einfluss des Vertrauens auf die Risikobewertung, die Nutzenbewertung, aber auch auf die Akzeptanz.
Gerade in Bezug auf Energietechnologien deutet einiges darauf hin, dass relevante Einstellungen sehr variabel, also zeitlich nicht besonders stabil sind. Zudem zeigt sich, dass die Präferenzen der Bevölkerung in Bezug auf die Bedeutung unterschiedlicher Energieträger nicht immer konsistent sind.
Die Selektionskriterien der Medien, vor allem die Tendenz Schäden, Konflikte und Risiken in den Vordergrund zu stellen, führen fast unweigerlich dazu, dass die mediale Darstellung von Energietechnologien im Vergleich zum Forschungsstand verzerrt ist. Da nach Fukushima die Atomenergie aus dem Fokus der Medien nahezu verschwunden ist, sind nun die Erneuerbaren Energieträger von dieser Berichterstattungslogik betroffen. Zahlreiche Studien betonen die Bedeutung von Wissen, Information und Kommunikationskampagnen zur Erzeugung von Akzeptanz. Allgemeine (sozial-politische) Akzeptanz ist eine notwendige, aber nicht hin-reichende Bedingung für die Akzeptanz konkreter Maß-nahmen in einer betroffenen Region. Beide Akzeptanz-formen stehen ebenfalls in Wechsel-beziehungen zur Akzeptanz am Markt.
Demnach sind nicht nur die gesellschaftliche Akzeptanz und die regionale Zustimmung, sondern auch die Bereitschaft von Energieunternehmen und Konsumenten, Erneuerbare Energien auszubauen, von großer Bedeutung.
Aktuelle Studien zeigen, dass die lokale Akzeptanz oder Duldung der jeweiligen Energietechnologie von einer Reihe individueller Faktoren abhängt, wie soziodemographischen Faktoren, vorhandenem Wissen oder prä-existierenden Einstellungen zu Energiethemen. Allerdings sind die Befunde bezüglich der theoretischen Erwartungen widersprüchlich. Relevantes Wissen und Informationsverhalten stehen nicht immer in einer positiven Beziehung zu Akzeptanz, gerade bei Risikotechnologien scheint Detailwissen die Technologieakzeptanz sogar zu vermindern. In einem laufenden Teilprojekt des Antragstellers wird zudem deutlich, dass Akzeptanz oder Duldung von Technologieansiedlung regional sehr stark variieren.
Neben unterschiedlichen Methoden der Umfrageforschung ist mittlerweile die quantitative Medieninhaltsanalyse zum Standardrepertoire der sozialwissenschaftlichen Technologieakzeptanz-Forschung geworden. Dies trägt der Tatsache Rechnung, dass Medien in vielen Bereichen, die sich unserer Primärerfahrung entziehen, die wichtigste Informationsquelle darstellen. Ziel der Inhaltsanalysen ist es in der Regel, die potenziell verfügbaren Informationen zu quantifizieren, aber auch Standpunkte der Medien und Akteuren zu bestimmten Technologien zu identifizieren. Anders, als in der politischen Kommunikationsforschung üblich, werden die Inhaltsanalysen meist nicht systematisch mit Bevölkerungsbefragungen verknüpft. Zahlreiche Beispiele aus der politischen Kommunikation zeigen jedoch, dass gerade in der Verknüpfung von Inhaltsanalysen und Befragungen deutliche Erkenntnisgewinne zu erzielen sind.
Aufgaben im Teilprojekt
Im Teilprojekt sollen die Akzeptanzrisiken aufgrund hoher Kosten für Endverbraucher und Industrie, veränderter Landnutzung und Landschaftswandel sowie der Auswirkungen auf Umwelt, Ökosysteme und Klima durch die systematische Auswertung von Print- und Onlinemedien, ergänzt durch die Befragung politischer Entscheidungsträger identifiziert werden.
Die Analyse bezieht sich insbesondere auf:
- Die Sensibilität der betrachteten gesellschaftlichen Gruppen für unmittelbar sichtbare Rückkopplungen (z.B. Landschaftswandel, Preissteigerungen)
- Die Sensibilität der betrachteten gesellschaftlichen Gruppen für Zukunftsfolgen (z.B. Klimawandel, Versorgungssicherheit)
- Die Öffentlichkeitsarbeit der Energiewirtschaft (z.B. in Printmedien, Onlinemedien und sozialen Netzwerken)
Regressionsmodelle sollen den relativen Einfluss der Aspekte auf die zentralen Akzeptanzvariablen in der Bevölkerung schätzen. Darauf basierend werden Informationsstrategien zum Abbau von Misstrauen und zur Erhöhung der Akzeptanz abgeleitet und bewertet.
Medienmonitoring
Für das Medienmonitoring wurden relevante Medien (regionale und überregionale Tages- und Wochenzeitungen, Fachpresse, Online-Nachrichtenportale, Presseportale von Energieversorgern) ermittelt. Die Berichterstattung der ausgewählten Informationsquellen wurde teils automatisiert, teils manuell in einem Datensatz gesammelt, normalisiert und strukturiert. Auf dieser Datenbasis werden relevante Akteure und Begriffe identifiziert und in zwei separaten Wörterbüchern logisch gruppiert. Beide Listen dienen als Basis für die weitere computergestützte Inhaltsanalyse. Zugleich läuft eine manuelle Inhaltsanalyse, bei der Codierer die thematische Einbettung relevanter Suchbegriffe analysieren (Keyword in Context, KWIC).
Das bisherige Medienmonitoring zeigt eine oberflächliche Berichterstattung über Biogas. Vor allem Umweltauswirkungen sind hierbei ein bedeutsames Thema. Dominierende Personengruppen, die im Zuge der Berichterstattung genannt werden, sind lokale Stakeholder, wie LokalpolitikerInnen und BürgerInnen.
Befragung
Nach bisherigen Erkenntnissen ist das Wissen über Energietechnologien in der Bevölkerung allgemein sehr oberflächlich3, 4. Eine reine Bevölkerungsbefragung würde weitere Stakeholder (wie politische Entscheidungsträger und die Wirtschaft) ausblenden und eine umfassende Befragung, die alle Teilgruppen berücksicht, würde den Rahmen des Projekts zeitlich und finanziell sprengen. Deshalb werden LandrätInnen und BürgermeisterInnen sowohl um ihre persönliche Einschätzung zum Ausbau von Biogas, als auch um eine Abschätzung der Meinung von BürgerInnen und der Wirtschaft gebeten. Die Befragung zielt auf kritische Aspekte des Biogas-Ausbaus, also vor allem auf wahrgenommene Problemfelder und basiert auf einer geschichteten Zufallsstichprobe von Landkreisen und Gemeinden in ganz Deutschland.
„Protest-Atlas“
Mittels computergestützter Datensammlung und manueller Recherche werden wirtschaftliche und soziale Strukturdaten (wie Alter, Religion, Arbeitslosigkeit, Anteil landwirtschaftlicher Fläche, Wahlverhalten) und zusätzliche Informationen wie Standorte von Protestbewegungen in ganz Deutschland erfasst. Die Strukturdaten dienen später als Schätzer für das Vorkommen von Protestbewegungen in Landkreisen. Ziel dieser Schätzung ist eine farblich differenzierte Karte Deutschlands, die Regionen anhand ihrer Protestwahrscheinlichkeit einstuft (von grün bis rot). Grün eingefärbte Bereiche wären dann Gebiete mit einer gering eingeschätzten Protestwahrscheinlichkeit. Diese Karte soll später mit einer ähnlich strukturierten Karte über die Umweltverträglichkeit (aus dem Projektteil GEO) kombiniert werden.
1 M. Siegrist und G. Cvetkovich, „Perception of Hazards: The Role of Social Trust and Knowledge,“ Risk Analysis, S. 713-720, 2000
2 R. Wüstenhagen, M. Wolsink und M. J. Bürer, „Social acceptance of renewable energy innovation: An introduction to the concept,“ Energy Policy, S. 2683-2691, 2007
3 Assefa, G.; Frostell, B. (2007): Social sustainability and social acceptance in technology assessment. A case study of energy technologies. In: Technology in Society 29 (1), S. 63–78.
4 Bang, Hae-Kyong; Ellinger, Alexander E.; Hadjimarcou, John; Traichal, Patrick A. (2000): Consumer concern, knowledge, belief, and attitude toward renewable energy. An application of the reasoned action theory. In: Psychol. Mark. 17 (6), S. 449–468.