Energiewirtschaft
Energiewirtschaftliche Betrachtung der Prozessketten
Für die schnelle Transformation des Wärmemarktes hin zu hohen Anteilen erneuerbarer Energien ist ein Strukturwandel auch in der Gasversorgung unabdingbar. Auch aus volkswirtschaftlicher Sicht scheint Eile geboten: Stetig steigender Verbrauch und ein Rückgang der europäischen Erdgasproduktion führten in den letzten Jahren zu einem kontinuierlichen Anstieg des Erdgaspreises für deutsche Privathaushalte von ca. 4 ct/kWh im Jahr 2000 auf derzeit ca. 7 ct/kWh. Europa wird zunehmend von russischen Erdgaslieferungen und von verflüssigtem Erdgas (Liquified Natural Gas, LNG) aus den Krisengebieten des Nahen Ostens abhängig. Die nachhaltige Versorgung mit Erdgas droht also zur Achillesferse der deutschen Energiewirtschaft zu werden. Einerseits bietet das bundesdeutsche Erdgasnetz ideale Voraussetzungen, um den Forderungen einer flexiblen und nachhaltigen Strom- und Wärmeerzeugung gerecht zu werden. Andererseits beträgt die statische Reichweite europäischer Reserven derzeit nur noch 8-9 Jahre.
Die Transformation des Wärmemarkts hin zu hohen Anteilen erneuerbarer Energien ist also nicht nur für das Erreichen der Klimaschutzziele der Bundesrepublik Deutschland essentiell, sondern auch wesentlich, um langfristig Preisstabilität und Versorgungssicherheit für die gasbasierte Wärmeversorgung zu gewährleisten. Dem uneinheitlichen Trend und hohen Unsicherheiten für die konventionelle Erdgasversorgung stehen zahlreiche technische Entwicklungen gegenüber, die eine Erzeugung von Erdgassubstituten aus erneuerbaren Energien zum Ziel haben. Bereits etabliert ist derzeit die Erzeugung von
- „Biomethan“ durch die Aufbereitung von Biogas auf Erdgasqualität.
Intensiv diskutiert und entwickelt wird die Erzeugung von Erdgas durch die
- Methanisierung von Synthesegas aus der thermochemischen Konversion holzartiger Biomasse (synthetisches Erdgas bzw. „Substitute Natural Gas“ aus Holz)
und die - Erzeugung von regenerativem Wasserstoff („Power-to-Hydrogen“) aus Wind und Photovoltaik sowie dessen Umsetzung mit CO2 in synthetisches Erdgas („Power-to-Gas“).
Während die fermentative Umsetzung von Energiepflanzen in Biomethan bereits technisch umgesetzt wird, stehen vielversprechende Technologien wie die thermochemische Erzeugung von Substitute Natural Gas aus holzartiger Biomasse oder die Technologien zur Speicherung regenerativ erzeugter elektrischer Energie im Erdgasnetz noch an der Schwelle zur kommerziellen Entwicklung oder gar – wie die fermentative Methanisierung – am Anfang ihrer Entwicklung. Demgegenüber könnte Synthesegas aus Biomasse zur Prozesswärmeerzeugung vielfach bereits heute eingesetzt werden. Die Substitution von Erdgas aus fossilen Quellen mit regenerativ erzeugten Gasen reduziert also wirtschaftliche und politische Abhängigkeiten und CO2-Emissionen. Vor allem aber bietet das bestehende Erdgasnetz ideale Voraussetzungen, um erneuerbare Energien aus der fluktuierenden Einspeisung von Wind und Sonne zu speichern. Auch Gase aus der kontinuierlichen thermochemischen oder fermentativen Konversion von Biomasse können im Erdgasnetz zwischengespeichert und bedarfsgerecht abgerufen werden. Die dadurch möglichen, hohen Anlagenauslastungen sind die Grundvoraussetzung für die wirtschaftliche Nutzung von Biomasse und biogenen Reststoffen. Eine kosteneffiziente und nachhaltige Erzeugung von Erdgassubstituten in signifikanten Mengen kann also langfristig dazu beitragen, die nationale und europäische Versorgungssicherheit zu erhöhen und Energiepreise zu stabilisieren.
Die Vielzahl der Prozessketten für die Erzeugung erneuerbare Gase aus der Wind, Sonne, Wasserkraft und Biomasse ist in der folgenden Abbildung dargestellt
Bereits heute werden ca. 8.000 Biogasanlagen betrieben. In bundesweit über 100 Anlagen wird das Biogas auf Erdgasqualität aufbereitet und ins Erdgasnetz eingespeist. Im Gegensatz zur Fermentation können bei der thermochemischen Erzeugung von Erdgassubstituten auch holzartige Biomassen und Lignozellulosen eingesetzt werden. Synthesegase aus der thermischen Vergasung eignen sich besonders gut für die Synthese von Kohlenwasserstoffen wie Methan. Als „Stadtgas“ wurden solche Gase der „ersten Gasfamilie“ bis in die 70er Jahre in großen städtischen Verteilnetzen genutzt.
Bei der Methanisierung werden wasserstoffreiche Synthesegase in so genanntes „Substitute Natural Gas“ (SNG) gewandelt. Diese sehr alte Technologie wurde für Kohle intensiv in den 70er und 80er Jahren entwickelt und wird großtechnisch in den USA und in China eingesetzt. Eine erste Demonstrationsanlage zur Methanisierung von Biomasse geht derzeit im schwedischen Göteborg in Betrieb. Dieselben katalytischen Reaktionen, die Methanisierung und die Sabatier-Reaktion werden derzeit auch intensiv unter dem Stichwort „Power-to-Gas“ diskutiert. Aufgrund höherer Wirkungsgrade favorisieren Entwickler deshalb teilweise auch die Erzeugung von Wasserstoff („Power-to-Hydrogen“). Wird der Wasserstoff direkt ins Gasnetz eingespeist, muss das resultierende Gas mindestens den Anforderungen der DVGW- Richtlinien G260 und G262 entsprechen. Apparativ besonders einfach ist die partielle Reformierung, bei der auf die Elektrolyse vollständig verzichtet werden kann. Ein neuer Ansatz zur Erzeugung von „Substitute Natural Gas“ ist die mikrobiologischen Methanisierung mit methanogenen Archaeen. Diese Entwicklung wird derzeit von diversen Start-Up Firmen in Deutschland und Österreich verfolgt.
Aufgaben im Teilprojekt
Im Teilprojekt sollen auf Systemebene zunächst etablierte und innovative Technologien zur Erzeugung von Erdgassubstituten abgebildet und modelliert werden. Im Einzelnen sind Wirkungsgrade, Treibhausgasemissionen, Investitionskosten und variable Kosten für folgende Technologien mathematisch abzubilden:
- Biomethananlagen mit unterschiedlichen Substraten und Verfahren zur CO2-Abtrennung
- SNG-Anlagen mit unterschiedlichen Vergasungstechnologien und verschiedenen holzartigen Einsatzstoffen
- Power-to-Gas-Anlagen mit unterschiedlichen Elektrolyseuren, Leistungsgrößen sowie katalytischer und fermentativer Methanisierung
- Power-to-Hydrogen-Anlagen mit unterschiedlichen Elektrolyseuren, Leistungsgrößen und mit partieller Reformierung
Die Modelle sollen unterschiedliche Leistungsbereiche, technische Reife und Skaleneffekte (Anzahl installierter Anlagen) abbilden. In gleicher Weise sollen konkurrierende Prozessketten für die Wärme und Stromerzeugung modelliert werden. Die ausgearbeiteten mathematische Modelle sollen dann in einzelne „Agenten“ implementiert werden, die als Eingabeparameter
- Gasmenge / Anlagenanzahl
- Entwicklungsstand
- Lastgänge (Einspeisung, Verbrauch)
auf Systemebene auswerten. Ausgabeparameter einzelner Agenten sind
- Treibhausgasemissionen
- variable Kosten und Investitionskosten und
- Veränderungen der Landnutzung (z. B. Flächenverbrauch) und der ökosystemaren Struktur und Diversität sowie daraus resultierende Änderungen der Stoffflüsse zwischen Hydrosphäre, Boden, Pflanze und Atmosphäre.